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Je einfacher das Leben, umso schöner!

Eine Woche nach meinem letzten Festivafight, sitze ich nicht in einem überfüllten Minibus sondern auf der Ladefläche von Daengs Pickup. Wir brettern mit 100km/h über die Landstraße und ich denke an die vielen Unfälle, die ich hier in Thailand schon selbst gesehen habe. Ist es ratsam in dieser Position an so etwas zu denken? Hier in Thailand lerne ich Gelassenheit, also widme ich mich dem Gespräch mit Bradley, der die Ladefläche mit mir teilt.

Es geht wieder einmal auf‘s Land raus. Wir fahren in die gleiche Richtung wie beim letzten Festivalfight, doch die Strecke ist länger und wir sind ca. eine Stunde unterwegs. Auf dem Weg zum Festivalplatz kreuzt ein kleiner Umzug unseren Weg. Auf zwei Pickups haben die Jugendlichen des Ortes, meterhoch Lautsprecher aufgetürmt. Tanzend ziehen sie jetzt durch die Straßen. Ein grandioser Empfang! Der Festivalplatz ist viel größer als letzte Woche und wir haben Orientierungsprobleme. Es gibt mehrere Wege, deren Ränder von Essens- und Vergnügungsständen gesäumt sind. Wir sind gleich nach dem Training aufgebrochen und die Mägen des Teams knurren. Also bedienen wir uns an den Essensständen und zahlen die üblichen, fast lächerlichen Preise. Das Festival ist gut besucht und viele Jugendliche starren uns an. Das hier ist keine Touristengegend und wahrscheinlich ist es für viele Kleinere der erste Kontakt mit Ausländern. Die Menschen zeigen ihre Gefühle über Ausländer offen. Viele kichern oder machen Späße mit uns. Jede Sekunde bekommt man ein Lächeln zugeworfen, dass freundlich erwidert wird. Nicht einen Moment spüre ich Ablehnung oder ähnlich negative Gesten. Ich bin viel größer als 99% der Menschen hier und mit meiner Kamera um den Hals, unverkennbar als Tourist zu erkennen. Viele kommen zu mir und wollen Fotos oder fragen nach meiner Herkunft. Es sind die Standardsätze, die fast jeder Thai kennt. Weiterführende Gespräche scheitern an der Sprachbarriere. Während der Kämpfe gesellt sich ein älterer Mann zu mir. Er reicht mir nicht einmal bis zu den Schultern und ist offensichtlich schon etwas angeheitert. Er versucht mir viele Sachen zu erzählen und ich folge ihm aufmerksam. Ich verstehe zwar kein Wort aber aus seinen Bewegungen entnehme ich, dass er schon Muay Thai trainiert hat. Er zeigt mir seine Ellbogen und fordert, dass ich ihm meine Ellbogen leicht auf dem Kopf schlage. Dann stellt er sich vor mich und will, dass ich ihm mein Knie in den Bauch ramme. Widerwillig folge ich seinem Wunsch und täusche ein paar lockere Knie an. Er ist zufrieden und erzählt mir weiter seine Geschichten. Die Menschen um uns herum sehen dem Treiben belustigt zu und gesellen sich langsam zu uns. Mir wird derart viel Zuneigung unangenehm und ich sehe nach den Vorbereitungen unseres Teams.

Es ist der dritte Kampf von Nueng den ich live erleben kann. Sein erster Fight war vorbei bevor er angefangen hat und beim Zweiten gab es eine glücklose Punktniederlage. Ich hoffe, dass er heute mehr Siegeswillen zeigt und seine ganzen Fähigkeiten abruft. Nueng ist einer von vielen tausend Profikämpfern in Thailand. Klingt der Begriff Profikämpfer für uns wie Ruhm und Erfolg, so steht er hier für den Kampf ums Überleben. Nueng kommt aus einer armen Familie aus der Provinz Isaan. Er wurde als Kind ins Camp geschickt um Geld zu verdienen. Seit dem lebt er im Lanna Gym und kämpft für den Lebensunterhalt der Familie. Er teilt sich sein kleines Zimmer mit Jok, dem elfjährigen Kämpfer mit demselben Schicksal wie Nueng. Man mag denken, dass Nueng als Profi trainiert wie ein Profi. Doch die lange Zeit im Camp, hat ihn Müde werden lassen. Er ist jedes Training vor Ort und die Trainingsfläche ist sein Wohnzimmer. Doch wirklich aktiv am Training nimmt er nur selten teil. Körperlich bringt er viele Vorteile mit. Sein Oberkörper ist wahnsinnig kräftig und im Clinch kommt ihm niemand bei. Die Fäuste sind seine Waffe und wenn er sich mal durchringt ein paar Runden an der Pratze zu arbeiten, dann sind es Kombinationen die von Power nur so strotzen. Er hat es sogar in eine National Geographic Doku geschafft. Trotz dieser Voraussetzungen hat er den großen Sprung nach Bangkok nie geschafft. Ihm fehlt der Antrieb Gewicht zu machen um nicht gegen die ganz großen Boys zu kämpfen und auch im Training ist er zu nachlässig.

Wie es so jemand schafft Woche für Woche in den Ring zu klettern ist für mich unerklärlich. Er kommt etwa auf 20% meiner Trainingsinhalte pro Woche, ist aber in der Lage einen Fünf-Runden-Kampf bis zum Ende durch zu stehen. Doch hoffen wir, dass es soweit heute nicht kommt. Die ersten zwei Runden sind Nuengs Gebiet. Hier bringt er genug Luft und Power mit, um seine Gegner K.O. zu schlagen. Sein Kampf steht an letzter Stelle des Abends und viele Menschen sind schon nach Hause gegangen, weil zwischenzeitlich starker Regen eingesetzt hat. Der Regen ist vorüber und die letzten Enthusiasten versammeln sich um den Ring. Sein Gegner ist jung und sieht fit und bereit aus. Nach dem Wai Khru, schreiten beide zur Tat.

Der Kampf

Die erste Runde verläuft ruhig und Nueng kann das Geschehen nach Belieben bestimmen. Sein Gegner kann keine Aktionen anbringen, während Nueng die Ruhe selbst ausstrahlt. Er fängt alle Kicks des Gegners und attackiert anschließend das Standbein. Nur die Ringseile bieten dem Gegner halt und schützen ihn davor auf dem Ringboden zu landen. Nueng wirkt konzentriert und fokussiert. Er analysiert seinen Gegner genau und sieht seine Attacken kommen. Dabei verliert er zu keinem Zeitpunkt sein Lächeln und grinst überheblich. Das Spiel mit den Gefühlen ist ein wichtiges Element im Muay Thai. Sein Gegner schafft es nicht und zeigt seine Schmerzen und den Frust offen. Diese Runde hat er nichts anbrennen lassen und eine wahrlich souveräne Leistung gezeigt.

Die Glocke gibt das Ende der Runde bekannt und in unserer Ecke wird es wild. Neben uns Farangs, sind nur Nueng und Daeng mitgekommen. Bei einem Muay Thai Kampf, können den Kämpfer im Ring nur zwei Personen betreuen. Das sind meist keine Trainer sondern Cornerman, die für Abkühlung sorgen, massieren und Wunden verschließen. Der eigentliche Trainer bleibt außerhalb des Rings und gibt von da seine Anweisungen. Tony und Andy stehen im Ring. Andy ist ins kalte Wasser geworfen worden und findet sich das erste Mal als Cornerman wieder. Wir geben ein lustiges Bild ab. Zwei Farangs als Cornerman, von denen die Hälfte nicht weiß was zu tun ist und Daeng der von außen Kommandos gibt. Ich stehe neben der Ecke und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen.

Runde Zwei wird angezeigt und die Rummeltruppe verzieht sich aus dem Ring. Hoffen wir, dass Nueng sich davon nicht anstecken lassen hat. Sein Gesicht strahlt weiterhin diese Entschlossenheit der ersten Runde aus. Er will den Sieg! Sein Gegner muss schwer unter den Fäusten leiden. Nueng bewegt sich schnell rein und trifft zwei bis drei Fäuste und schließt mit einem Kick ab. Einfache Kombos mit verheerender Wirkung. Ein Jab gefolgt von einem rechten Leberhaken, lässt den Gegner vor Schmerzen zucken. Unser Mann erkennt sofort, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist und macht den Sack zu. Er setzt mit einem Haken zur Leber nach und der Gegner geht zu Boden. Knock Out in der zweiten Runde für das Lanna Gym. Der Gegner liegt noch im Ring, da steht Nueng neben uns und sein Gesicht hat wieder die normalen witzigen Gesichtszüge angenommen.

Er wirft sich ein T-Shirt über und wir machen uns auf den Weg zum Wagen. Er klettert mit auf die Ladefläche und verfällt in ungewohnte Ruhe. Jeden Tag im Training ist er ein witziger und aufgeweckter junger Mann, dessen Laune alle im Gym ansteckt. Er hat weder Geld noch eine Wohnung. Er hat nie eine Schule besucht und seine Vorstellung von Zukunft, reicht wahrscheinlich bis zum Ende des Tages. Und trotzdem hört man ihn nicht jammern. Er beschwert sich nicht, er klagt nicht. Mit seiner Einfachheit und Lebenslust schafft er es mich zu inspirieren. Ich denke über unsere Gesellschaft nach, in der ich jeden Tag über meinen sozialen Status, Glück und Zukunft grübeln muss. Doch grade jetzt, sitzt vor mir ein Mensch der viel weniger hat und sich unseren Reichtum nicht im Entferntesten vorstellen kann. Was mag er wohl denken?

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